US-Auslandssender Liberty und Voice of America

Gute Stimmen, böse Stimmen

Screenshot: www.svoboda.org
Screenshot: www.svoboda.org

Von westlichen Staaten finanzierte Medien, die autoritär beherrschten Völkern die Wahrheit bringen - das war das Konzept zahlreicher Auslandssender. Die USA leisten sich mit Radio Free Europe / Radio Liberty, Radio Free Asia und Voice of America gleich mehrere davon. Seit März 2025 steht die dafür zuständige US Agency for Global Media (USAGM) im Fokus von Donald Trumps

brachial vorangetriebenen Reformen. Der Präsident würde die Behörde am liebsten abwickeln. Den Sendern droht durch Entzug

der Staatsfinanzierung das Aus (S. Reuters-Bericht, Englisch). Zwar nahm ein Gericht bereits Tempo aus der geplanten Abwicklung. Doch das Geschehen ist Grund genug für einen Blick auf die US-Auslandsmedien, die lange großen Einfluss in Russland und anderen Staaten der ehemaligen Sowjetunion hatten.

Die hysterischen Reaktionen auf "russische Propaganda", die in der EU spätestens seit dem Start von RT ("Russia Today") allgemein zum guten Ton gehören, haben in der Tat dazu geführt, dass alle, die gegen diese Bedrohung ankämpfen, nun wirken wie makellose Helden. Die Reaktionen auf Trumps Pläne waren daher vorhersehbar. Ein "wichtiges Instrument zur Förderung von Pressefreiheit und Menschenrechten" werde von Trump geschwächt, warnte der Deutschlandfunk, der in seinem jüngsten Beitrag gleich zehnmal die Unabhängigkeit des staatsfinanzierten US-Senders betonte. Doch die Geschichte ist etwas anders und weniger holzschnittartig, als es gerade den Anschein hat.


Staatlich betriebene Sender für ein Publikum im Ausland existieren seit fast 100 Jahren. Als Sternstunde der Auslandsradios kann man mit Fug und Recht die Zeit des Zweiten Weltkriegs und des darauf folgenden Kalten Krieges betrachten. Der langjährige Chefredakteur des deutschsprachigen Dienstes von Radio Moskau, Wladimir Ostrogorski, räumte einmal ein, er habe seit seiner Jugend ständig die Programme der BBC gehört: "Wenn heimische Informationsquellen etwas wichtiges verheimlichen oder falsch interpretieren, schlägt die Stunde des Auslandsfunks."  Während des Kalten Krieges hätten alle Sender, sowohl BBC, das amerikanische Radio Liberty und die Deutsche Welle ebenso wie Radio Moskau sich als "Stimme der Wahrheit" gesehen. "Dennoch mussten sie alle die Vorgänge in der Welt aus der Sicht der jeweiligen Regierung, ihres Geldgebers, schildern."

 

Polit-Emigranten und Geheimdienstler

Die "Stimme Amerikas" nahm den Sendebetrieb 1942 auf, Radio Free Europe und Radio Liberty folgten 1950 bzw. 1953 mit Programmen für ein Publikum in den kommunistischen Ostblock-Staaten, ursprünglich aus München. Mittlerweile liegt die Sendezentrale in Prag. In den Redaktionen arbeiteten viele politische Emigranten, doch schon zum Start spielte der US-Geheimdienst CIA eine entscheidende Rolle (s. z.B. Deutschlandfunk-Bericht von 2011), der die Arbeit in den ersten Jahrzehnten maßgeblich finanzierte. In der Sowjetunion schalteten viele Menschen die Programme der "ausländischen Stimmen" besonders gerne ein, wenn sie am Wochenende auf der Datsche ungestört zuhören konnten, weil der Empfang in den großen Städten mit Störsendern nahezu unmöglich gemacht wurde. Die Hörer schätzten westliche Rockmusik, alternative Sichtweisen auf das Weltgeschehen und die Literatursendungen mit Lesungen aus verbotenen Büchern. Aber vielen war durchaus bewusst, dass auch die westlichen Sender eine Agenda verfolgten. Nach Schätzungen der BBC erreichten alle westlichen Auslandssender zusammen rund 15 Prozent der Erwachsenen in der Sowjetunion (Lesenswerter Bericht über die sowjetischen Hörer der "Stimmen" bei Gazeta.ru, Russisch).

Nach dem Zerfall der Sowjetunion schloss Moskau vorübergehend Frieden mit den ehemals bekämpften Sendern, Boris Jelzin erlaubte Radio Liberty höchstpersönlich per Erlass, künftig frei aus Russland zu berichten. In der Folgezeit baute der Sender ein großes Büro in Moskau auf. Die technische Entwicklung hatte zur Folge, dass das Publikum bald nicht mehr vor dem knarzenden Kurzwellenempfänger saß, sondern vor den PC-Bildschirmen und Smartphones.

 

Schon zu Beginn der Putin-Ära begann eine neue Phase der Konfrontation: Für weltweites Aufsehen sorgte das Schicksal des Liberty-Kriegsreporters Andrej Babizki, der als einziger russischsprachiger Journalist auf Seiten der tschetschenischen Kampfgruppen über den Zweiten Tschetschenienkrieg berichtet hatte und von russischen Sicherheitskräften in Gefangenschaft genommen wurde (S. Bericht Berliner Zeitung). Babizki fiel übrigens später auf allen Seiten in Ungnade, weil er nicht nur große Sympathien für die Abspaltung Tschetscheniens von Russland hegte, sondern konsequenterweise 2014 auch die Abspaltung der Krim von der Ukraine befürwortete, was ihn letztlich seinen Job kostete.

In dieser Zeit
, während meiner Moskauer Jahre, gab es immer wieder Kooperationen zwischen der Presseagentur, für die ich arbeitete, und Radio Liberty. Wir wurden regelmäßig als ausländische Pressevertreter in die Sendungen eingeladen. Schon damals kamen im Programm vor allem oppositionelle Kräfte und Vertreter von NGOs zu Wort, die von den Staatsmedien boykottiert wurden. Gelegentlich waren aber auch noch Vertreter des Regierungslagers Gesprächspartner.

 

Freiheit für die Welt, hartes Regiment für die Redakteure

Juri Orlow, Wladimir Baburin und Karsten Packeiser im Moskauer Büro von Radio Liberty, 2004
Mit dem Dissidenten Juri Orlow und dem Journalisten Wladimir Baburin in der Moskauer Liberty-Redaktion

Bei Radio Liberty in Moskau habe ich zahlreiche engagierte Journalisten kennengelernt, die ehrlich über Missstände aufklären wollten und furchtlose Reportagen recherchierten. Sie produzierten viele wirklich hörenswerte Sendungen. Und manche der Talkshows, an denen ich mitwirken durfte, sind mir in bleibender Erinnerung geblieben, wie beispielsweise die mit dem sympathischen Weltenbummler Fjodor Konjuchow oder mit dem exzentrischen Schach-Weltmeister Boris Spasski. Aber schon damals gab es Dinge, die befremdlich waren - etwa die Nähe des Senders zu den radikalen tschetschenischen Untergrundkämpfern. Klar war auch: Kritik an der amerikanischen Politik war im Programm weitgehend Tabu. Nach dem Überfall der Amerikaner auf den Irak 2003 war Radio Liberty definitiv der falsche Ort, um nach unabhängigen Informationen über den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu suchen.

 

Während die Arbeitsbedingungen für Radio Liberty durch die russischen Behörden immer weiter erschwert wurden, fügte ausgerechnet die eigene Hausspitze dem Sender weiteren bleibenden Schaden zu. Immer wieder wurden ausgezeichnete Journalisten gefeuert, weil sie falsche Meinungen vertraten oder Anweisungen aus den USA oder der Zentrale in Prag nicht sofort befolgen wollten, darunter der erfahrene Chefredakteur Sawik Schuster. Der Kurzzeit-Chefin des russischsprachigen Sendedienstes, Masha Gessen, reichten 2012 und 2013 wenige Monate, um nahezu die komplette Moskauer Redaktion zu entlassen oder zur Kündigung zu drängen (S. z.B. Bericht RBK, Russisch). Mit Journalismus habe der Sender in dieser Zeit nichts mehr zu tun gehabt, klagte ein langjähriger, mir bestens bekannter Redakteur später (ausgerechnet) im russischen Staatsfernsehen. Es sei nicht mehr um Analysen gegangen, sondern nur noch darum, Propaganda-Schlagworte zu platzieren. "Einigen, Direktoren eingeschlossen, wurden erhebliche Abfindungen gezahlt, damit sie niemals Interviews über Radio Liberty geben oder ein Buch darüber schreiben würden", berichtete auch der langjährige Liberty-Journalist Michail Sokolow in einem lesenswerten Interview kurz nach seiner Entlassung (Republic, Russisch).


Inzwischen wurden beide Sender, Liberty und Voice of America von den russischen Behörden als "ausländische Agenten" eingestuft. Radio Liberty gilt seit 2024 gar als "unerwünschte Organisation" (S. Bericht z.B. Forbes.ru, Russisch), wodurch russischen Staatsbürgern
Strafverfolgung droht, wenn sie für das Programm arbeiten, die Webseiten sind in Russland nur noch über VPN-Netzwerke zugänglich. Es ist ein Déjà-vu: Die Bedingungen sind wieder so prekär wie zu sowjetischen Zeiten - mit einem wesentlichen Unterschied: In Zeiten von Social Media und Internetmedien muten staatlich finanzierte Auslandssender wie ein Anachronismus an. Denn längst gibt es - trotz allem - so viele andere Informationsquellen. Einer aktuellen Statistik zufolge belegte Radio Liberty unter den meistzitierten aller von den russischen Behörden drangsalierten Medien 2024 noch Platz 28 (Datenaufbereitung Agentstwo, Russisch) - weit hinter Portalen wie Mediazona, Sota Vision oder Meduza, die in Russland ebenfalls blockiert werden. Aber auch weit hinter dem russischsprachigen Sendedienst der BBC. Die Voice of America taucht in der Auswertung nicht auf.


In westlichen Hauptstädten wurde die Ankündigung, den Sendern den Geldhahn abzudrehen, dennoch als Geschenk für Putin gewertet. In europäischen Hauptstädten wird Insbesondere die Rolle von Radio Liberty in der Auseinandersetzung mit Russland als so bedeutsam eingeschätzt, dass inzwischen Pläne publik wurden, die Europäer könnten die Finanzierung selbst übernehmen. Vertreter der russischen Propaganda reagierten hingegen tatsächlich mit großer Freude. Die Chefin des EU-weit verbotenen russischen Auslandssenders RT (ehemals "Russia Today"), Margarita Simonjan, sprach von einem "Festtag", als die Schließungspläne bei den Rivalen publik wurden. Ganz ohne Einfluss sind die "fremden Stimmen" eben doch nicht.

kp, aufgeschrieben am 26.3.2025


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