Am Nordost-Rand der antiken Welt - Tanais

Танаис / Τάναϊς

Dort, wo der Don ins Asowsche Meer mündete, gründeten griechische Kolonisten von der Krim im 3. Jahrhundert vor Christus eine Hafenstadt. Dem Ort gaben sie den selben Namen wie dem Fluss - Tanais. Der Hafen wurde bald zum äußersten nordöstlichen Vorposten der antiken Zivilisation. Stromaufwärts begann das legendäre, ewig neblige Land der Skythen, in deren Steppen die Griechen die Heimat der kriegerischen Amazonen verorteten. In Tanais vermischten sich Griechen und "Barbaren". Beide Gruppen übernahmen Elemente aus der Kultur der jeweils anderen. Seit Mitte des 19. Jahrhundert arbeiten Archäologen daran, in der Nähe von Rostow am Don die Überreste des untergegangenen Ortes freizulegen. 1958 entstand auf dem Ausgrabungsgelände das erste archäologische Freilichtmuseum auf dem Gebiet Russlands.

Tanais Russland Танаис
Die Überreste von Tanais liegen direkt an einem Seitenarm des Don

In der Zeit um Christi Geburt war Tanais, Teil des Bosporanischen Reiches, das Teile der Krim und die Ostküste des Asowschen Meeres umfasste. Fälle und Sklaven wurden dort gegen Wein, Olivenöl und andere Waren der zivilisierten Welt ausgetauscht. Während der Völkerwanderung zerstörten die Goten die Stadt. Die Sarmaten, ein iranischsprachiges Reitervolk, das gemeinsam mit den griechischen Kolonisten die Region besiedelte, dürften der Ursprung der Amazonen-Legende sein. Historiker vermuten, dass die sarmatische Gesellschaft durch matriarchale Strukturen geprägt war. Der norwegische Anthropologe Thor Heyerdahl vermutete gar, bei den Bewohnern der Don-Region handele es sich um die Vorfahren der Wikinger und der modernen Skandinavier. Seine letzte große Forschungsreise führte den Abenteurer in die Gegend um Tanais, wo er Belege für seine These suchte.

Seit dem Untergang der antiken Stadt hat sich die Landschaft am einstigen Standort der Hafenstadt stark verändert. Im Delta des Don lagerte sich im Verlauf der Jahrhunderte immer neuer Schlamm an, so dass die Meeresküste heute bereits rund acht Kilometer weiter westlich liegt als zur Zeit der griechischen Siedler. Anstelle von Tanais entwickelte sich Asow am Südufer des Don zur wichtigsten Stadt im Mündungsbereich des Flusses.

 

Wem beim Gedanken an antike Stätten Athen oder Ephesus in den Kopf kommen, der könnte von den Überresten der südrussischen Griechen-Siedlung ein wenig enttäuscht sein. In Tanais gab es keine Prachtbauten, sondern lediglich recht einfache Behausungen und Befestigungsanlagen. Ein Großteil der Mauern wurde später von den Bewohnern angrenzender Siedlungen für den eigenen Hausbau verwendet. Dennoch gibt es in Russland kaum einen vergleichbaren Ort. 

Die antike Ausgrabungsstätte liegt rund 30 Kilometer westlich von Rostow am Don, in der Nähe des Dorfes Nedwigowka. Auf der Fahrt dorthin bekommen Reisende einen Eindruck von den riesigen südrussischen Steppenlandschaften. Die Anfahrt ist von Rostow aus auch mit dem Vorortzug möglich (Fahrtzeit 50-60 Minuten, Haltestelle Tanais). Allerdings gibt es nur eine Handvoll Fahrten pro Tag.

Amphoren Tanais Don Museum
Amphoren im Museum von Tanais

Vor einigen Jahren wurde auf dem Gelände ein kleines neues Museum mit örtlichen Funden eröffnet. Falls möglich sollten Besucher eine Führung durch den Ausstellungssaal buchen. Der engagierte Gästebetreuer hat zwar ein leichtes Faible für allerlei esoterische Dinge, aber er weiß alles über diesen Ort.

Selbst eher unscheinbare Exponate können spannende Geschichten erzählen. So belegen in Tanais gefundene Kaurischnecken, dass es einst von der Stadt am Don aus Handelsbeziehungen bis an den Indischen Ozean gab. Auf dem Gelände geborgene Inschriften zeigen deutlich, wie sich die griechische Sprache in der Kolonie unter dem Einfluss der skythisch-sarmatischen Bevölkerung veränderte: In die ausgegrabenen Reliefs hatten die Steinmetze auch etliche Fehler eingemeißelt. In den Grabhügeln der Umgebung stießen die Archäologen schließlich auf Skelette mit merkwürdig verformten Schädeln. Offenbar war es unter den Sarmaten - so wie bei den mittelamerikanischen Maya und Inka - üblich, die Köpfe von Neugeborenen mit Hilfe von Brettern in die Länge zu strecken. 

Fotos vom Ausgrabungsgelände Tanais und dem Museum:


Passend zum Thema in unserem Russland-Reiseblog:

 

(kp)

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