"Wenn ich erkranke, dann frage ich keinen Arzt. Ich werde Freunde bitten - und denkt nicht, das sei ein Fieberwahn: Breitet mir die Steppe aus, verhängt meine Fenster mit Nebel, und über mein Kopfende hängt einen vom Himmel gefallenen Stern."
Jaroslaw Smeljakow (1913-1972), russisch-sowjetischer Dichter
Die südliche Ural-Region bietet fast alles, was Russland so faszinierend macht: Zwischen Tscheljabinsk im Nordosten und Orenburg im Südwesten gibt es endlose Taiga, Berge, bunte Wiesen und baumlose Grassteppen, Flüsse mit vielen hübschen Badestellen. Auf den Reisenden wartet jede Menge Natur, dazwischen aus der Zeit gefallene Dörfer, Städte mit bewegter Geschichte und Industriemonster aus der Sowjetzeit. Russen, Baschkiren, Kasachen und andere Völker haben die Region gemeinsam geprägt und kommen augenscheinlich recht gut miteinander klar. Das einzige, was es so gut wie gar nicht gibt, sind andere Touristen. Ein grandioses, bislang unentdecktes Reiseziel!
Im Juli 2017 starteten wir nach einigen Tagen in und um Moskau zu einer zwölftägigen Reise Richtung Osten - wie immer mit der Russischen Eisenbahn. Nach einem kurzen Stopp in Samara an der Wolga ging es zunächst nach Ufa, in die Hauptstadt der autonomen russischen Teilrepublik Baschkirien. Von dort fuhren wir weiter ostwärts in den Nationalpark Sjuratkul. Anschließend umrundeten wir gewissermaßen die Südspitze des Uralgebirges. Über Tscheljabinsk gelangten wir nach Orenburg, die geschichtsträchtige einstige Festung am Rand der mittelasiatischen Steppen. Dort erkundeten wir die wunderschöne Umgebung der Siedlung Saraktasch und besuchten – quasi als Höhepunkt der Tour – das entlegene Orenburger Naturreservat. Mit dem durchgehenden Zug ging es zurück nach Moskau.
Weil wir sehr kurfristig geplant haben, sind wegen der Ferien die günstigen Tickets unserer Stamm-Airline Aeroflot längst vergriffen. Daher testen wir zur Abwechslung für die Anreise nach Russland einmal die mongolische Fluggesellschaft MIAT aus. Die bietet zweimal pro Woche einen Flug von Berlin nach Ulan-Bator mit
Zwischenlandung auf dem Flughafen Scheremetjewo. Uns gefällt es an Bord sehr gut. Ich genieße zwei Stunden lang das Audio-Bordprogramm mit Kehlkopfgesang.
Da wieder einige Arbeit auf der Schwiegermutter-Datsche ansteht , bleibt allerdings nur Zeit für einen einzigen Tag in der Hauptstadt. Das ganze europäische Russland leidet in diesem Sommer unter
schlechtem Wetter. Am Kreml geraten auch wir in ein unglaublich heftiges Gewitter, das Moskaus Straßen für eine Stunde in
unüberwindbare Flüsse verwandelt.
Abends statten wir dem neuen Geschäftsviertel Moskau-City einen Besuch ab. Dort, fünf Kilometer westlich des Stadtzentrums, stehen derzeit sechs der sieben höchsten Wolkenkratzer Europas (nur Platz 5 befindet sich in London). Tatsächlich wirkt die Frankfurter City im Vergleich fast schon niedlich... Seit einiger Zeit gibt es im 56. Stockwerk eines der Hochhäuser, des Imperija-Towers, ein Museum mit Panoramablick. Wir kaufen sündhaft teure Eintrittskarten und sausen im Express-Fahrstuhl in rund 215 Meter Höhe. Oben gibt es eine grandiose Aussicht (allerdings keinen 360-Grad-Blick) und ein großes Drama: Nach zwei Fotos ist der Akku der Kamera leer. Nach drei Nächten bei Moskau startet unsere eigentliche Reise. Über Nacht fahren wir zunächst in einem Doppelstock-Schlafwagenzug an die Wolga - ins 1.000 Kilometer entfernte Samara.
Das Abteil teilen wir mit einem jungen Mann, der bei einem Historienspektakel mitwirkt, und seiner Bewaffnung. In Samara will
er als Bolschewik die Schlachten des russischen Bürgerkriegs nachspielen. Auch sonst scheint der Schütze einer Revolution nicht abgeneigt zu sein, wenn man ihn so reden hört.
Die erste Sehenswürdigkeit, die Bahnreisende in Samara entdecken, ist der futuristisch anmutende Hauptbahnhof - eines der verwegensten öffentlichen Bauprojekte, das in den
Krisenjahren nach dem Zerfall der UdSSR verwirklicht wurde.
Auf Empfehlung unseres Revolutionskämpferns hin laufen wir gleich nach der Ankunft an die breite Wolga, wo quasi mitten im Zentrum der Millionenstadt ein kilometerlanger, unerwartet gepflegter und gut besuchter Badestrand zum Ausruhen einlädt. Nach einem Bad im angenehm kühlen Fluss unternehmen wir einen kleinen Bummel durch die Innenstadt.
Zurzeit ist Samara eine einzige riesige Baustelle: Fassaden werden gestrichen, Straßen neu asphaltiert, Plätze gepflastert. Sogar das Denkmal für den bolschewistischen Bürgerkriegshelden Wassili Tschapajew ist mit einem Bauzzaun abgesperrt. Schuld an den hektischen Arbeiten ist die Fußball-WM 2018. Auch an der Wolga sind einige Spiele geplant. Dass alles rechtzeitig fertig wird, erscheint mir völlig unrealistisch. Zu viel müsste saniert werden. Samara verfügt im Stadtkern über viel alte Baustruktur, aber etliche der historischen Holz- und Steinhäuser sind in einem bedauernswerten Zustand. Noch am Nachmittag reisen wir weiter ins sieben Stunden östlich gelegene Ufa.
Ufa, die Hauptstadt der autonomen Republik Baschkirien (Baschkortostan) liegt schon zwei Zeitzonen östlich von Moskau an der Belaja, dem "Weißen Fluss", der sich auf 1.400 Kilometer Länge durch die Vorural-Region schlängelt. Muslimische Tataren und Baschkiren stellen etwa die Hälfte rund 1,1 Millionen Einwohner. Für meine Familiengeschichte ist dies ein besonderer Ort: Von 1945 bis 1949 verbrachte mein Großvater hier vier Jahre in Kriegsgefangenschaft. Hätte man ihm damals prophezeit, sein Enkel würde einmal während der Sommerferien dort vorbeikommen, es hätte ihn sehr verwundert...
Wir sehen ein merkwürdiges Gemisch aus alten Holzhäusern, sowjetischer Architektur und modernen Büropalästen. Aber Ufa ist durchaus einen etwas längeren Zwischenstop wert. Das Stadtzentrum wurde erheblich umgestaltet, als Russland 2015 die Staatschefs der BRICS-Staaten zum Gipfeltreffen hierher einlud. Größte Attraktion für Besucher ist die riesige Reiterstatue von Salawat Julajew, dem baschkirischen Nationalhelden, die am Steilufer der Belaja einen ziemlich dramatischen Eindruck macht.
Zum Mittagessen kehren wir in einem fabelhaften Lokal mit baschkirischer Küche ein. Wie bei den Turkvölkern der Region üblich, stehen oben auf der Speisekarte Gerichte aus Pferdefleisch. Mein geschmortes Pferd mit Sellerie-Schaum und Gemüse ist fabelhaft. Und auch unser Sohn hat seinen baschkirischen „Basch-Burger“ im Nu verzehrt.
Nach zwei Nächten in Ufa steht eine weitere Zugreise an. Über die historische Strecke der Transsibirischen Eisenbahn fahren wir weitere sechs Stunden nach Osten durch wunderschöne Berg- und Hügellandschaften.
Am Bahnhof Berdjausch verlassen wir den Zug. Von dort wollen wir eigentlich mit dem Taxi in den etwas abgelegenen Nationalpark Sjuratkul und zum gleichnamigen Gebirgssee.
Vor Ort ist alles dann aber etwas komplizierter, denn es gibt nirgendwo Taxis. Es beginnt eine Odyssee im Minibus in die 20 Kilometer entfernte Kreisstadt Satka. Dort finden wir mit Mühe einen Fahrer, der uns zum Sjuratkul-See bringen will. Erst müssen wir aber zu ihm nach Hause, wo er uns in einen 40 Jahre alten Lada umsetzt. Für sein neues Auto sei die Schotterpiste zu schlecht, sagt er.
Im Jahr 1993 wurde die Region zum Nationalpark erklärt. Am Seeufer gibt es nur ein einziges kleines Dorf, dessen Bewohner den Touristen einfache Unterkünfte anbieten - für „Lonely Planet“
eines der Top-Reiseziele im Ural. Daher trifft man hier, am Ende der Welt, sogar ein paar ausländische Rucksack- und Motorradtouristen. Die meisten zelten am Seeufer (was eigentlich
verboten ist).
Wir haben ein Zimmer in einem Holzhaus angemietet, ich hatte die Unterkunft bereits von Deutschland aus über das Internet gebucht. Auf Empfehlung der Besitzer landen wir bei Irina und Alexander,
die uns drei Tage lang in einer Art Verschlag mit herrlicher Hausmannskost bekochen. Zum Abschied schlachten sie sogar extra ein Kaninchen.
Viel los ist in dem Dorf nicht: Zwei kleine Läden bieten Kekse und Konserven. Milch kaufen wir im Drei-Liter-Einmachglas von einer Oma, die sich über die missratenen Nachbars-Rindviecher
beschwert. Die hätten ihr Kalb geschwängert, würden Gärten und Zelte zertrampeln, klagt sie.
Weite Teile des Nationalparks sind für Menschen tabu. Aber es gibt Wanderwege, einer davon führt auf das Hochplateau des Sjuratkul-Gebirgszugs – sechs Kilometer in einfacher
Richtung, 450 Höhenmeter über dem See. Am Dorfausgang hängt ein Plakat mit deutlicher Warnung: "Bären sind Bären - und keine Teddys." Zunächst führen Holzbohlen durch den
Wald und durch hübsche Wildblumen-Wiesen, teilweise geht es dann im Regen über steile Geröllfelder. Zwischenzeitlich zweifeln wir, ob wir oben überhaupt etwas sehen können. Doch pünktlich brechen
die Wolken auf: Natur pur bis zum Horizont - keine Straße, kein Windrad oder Skilift. Nur Taiga.
Leider ist es während der gesamten Zeit am Sjuratkulsee zu kalt zum Baden. Auch die Regenmäntel sind eine gute Investition. Morgens überkommt uns vom Fenster des Holzhauses aus das blanke Mitleid mit den Menschen, die in ihren Zelten Kälte und Nässe trotzen. Oft wechselt das Wetter aber blitzartig von Unwetter zu Sonnenschein.
Nach drei Tagen im Nationalpark wollen wir noch ganz in den Süden der Uralregion reisen. Da es keine direkte Zugverbindung gibt, müssen wir einen riesigen Umweg auf uns nehmen und zunächst vier Stunden Richtung Osten nach Tscheljabinsk fahren. Wir haben Tickets für einen offenen 3.-Klasse-Liegewagen eines Zugs der kasachischen Eisenbahn (Moskau-Karaganda).
Im Speisewagen frage ich, ob der Kellner ein Fenster öffnen könnte, denn ich will das Denkmal an der Grenze Europa-Asien fotografieren. Nein, entgegnet er, die seien zugeschraubt. Aber er könne die Außentür öffnen. Gesagt, getan: eine Weile stehe ich mit der Köchin im Fahrtwind – aber dann verpasse ich die entscheidende Sekunde.
Tscheljabinsk gilt als „Tor zu Sibirien“. Bekannt wurde Russlands siebtgrößte Stadt (knapp 1,2 Millionen Einwohner) als Waffenschmiede - volkstümlich „Tankograd“ genannt.
Hier wurden im Zweiten Weltkrieg die legendären T34-Panzer gebaut. Außer einer langen Fußgängerzone gibt es aber kaum etwas zu sehen. Fünf Stunden Aufenthalt sind sehr großzügig bemessen, finden
wir im Nachhinein.
Über Nacht fahren wir im großen Bogen fast 1.000 Kilometer Richtung Südwesten. Steppen lösen die Wälder ab. Für knapp eine Stunde führt die Strecke sogar über das Gebiet der
Republik Kasachstan, Grenzkontrollen gibt es nicht, weil der Zug nirgendwo anhält, bis wir wieder in Russland sind.
Auch unser Ziel Orenburg liegt an der Grenze der Kontinente: Der Ural-Fluss teilt die heiße Stadt in eine asiatische und eine europäische Hälfte. Bei 38 Grad im Schatten wird an beiden Ufern gebadet, die durch eine Seilbahn und eine Fußgängerbrücke miteinander verbunden sind.
Orenburg wurde die Mitte des 18. Jahrhunderts als Grenzfestung gegründet, die das Russische Reich vor den Nomaden Mittelasiens schützen sollte. Nach der Oktoberrevolution befand
sich hier kurze Zeit die Hauptstadt der Kirgisischen Autonomen Sowjetrepublik, die damals das Territorium von Kasachstan umfasste. Mehrere Orte in der Stadt erinnern an Juri
Gagarin, der hier einige Jahre lang lebte und seine Pilotenausbildung absolvierte. In der ehemaligen Pilotenschule ist ein kleines, sehr sowjetisch anmutendes Museum eingerichtet, dass
außer vielen verstaubten Fotos aber immerhin Gagarins handsignierte Umhängetasche und seinen Trainings-Raumanzug verwahrt. Vor dem Eingang steht ein Kampfjet auf einem Podest, in dem der
spätere Kosmonaut fliegen lernte.
Insgesamt finden wir Orenburg recht ansprechend. Im Zentrum gibt es viele historische Straßenzüge mit schönen alten Bauwerken. Am Ufer des Ural-Flusses ist sogar noch eine Kindereisenbahn in
Betrieb, wie es sie früher in vielen Ostblock-Städten gab. Makaber ist die Sammlung von ausgemustertem Kriegsgerät in einem der Stadtparks: Neben Weltkriegstechnik steht dort auch eine
riesige Interkontinentalrakete herum.
Mit einem Sammeltaxi fahren wir ins 110 Kilometer entfernte Saraktasch, dort heuern wir einen Fahrer für den ganzen Tag an und besichtigen zunächst den „Roten Berg“ am Sakmara-Fluss. Hier wurde vor 15 Jahren ein Historienfilm über den Pugatschow-Aufstand gedreht. Die verwitternden Kulissen sind äußerst fotogen.
Die Siedlung Saraktasch selbst ist zu einiger Berühmheit gelangt, weil ein örtlicher Priester hier seit der Wende mit Hilfe zahlreicher Spender einen riesigen Kirchenkomplex aus dem Boden gestampft hat. Der 70-fache Adoptiv- und Pflegevater hat auch eine Schule und ein Altenheim auf dem Gelände gegründet.
Jenseits der Klostermauern hat der umtriebige Geistliche sogar noch dafür gesorgt, dass Saraktasch eines der ungewöhnlichsten Eiscafés des Landes vorweisen kann – eingerichtet ist es in einem ausrangierten Passagierflugzeug Typ Tupolew-134!
Wir bitten unseren Taxifahrer, uns noch irgendwohin zu bringen, wo es schön ist. Der braungebrannte Mann denkt nicht lange nach. Nach einer längeren Fahrt über staubige Holperpisten erreichen wir das kleine Dorf Andrejewka mit einer wunderschönen Klosterkirche. Ein zotteliger Mönch kommt vorbei, zeigt uns auf dem Smartphone seine besten Sonnenuntergangs-Fotos und erklärt uns den Weg zu einer Anhöhe. Wegen der großen Hitze verzichten wir auf eine längere Wanderung und fahren mit dem Auto bis zum Ende einer Sandpiste. Dort bietet eine von den Mönchen hergerichtete Quelle Erfrischung. Vor uns liegt eine weite, unberührte Landschaft.
Wir fahren nun noch weiter nach Norden in die Berge. Leider biegen wir falsch von der Schotterpiste ab und landen auf einem Feld, auf dem nur noch einige Fahrrillen die Richtung anzeigen. Erst nach 10 oder 15 Kilometern erreichen wir wieder ein Dorf. Aufgrund der zweisprachigen Ortsschilder und der Moschee am Straßenrand ist sofort klar, dass wir uns wieder in der autonomen Republik Baschkirien befinden.
Nach einem Stopp an einem herrlich gelegenen Badesee bei Kugartschi (mit leider indiskutabel ekelhaften Umkleidekabinen) lassen wir uns aus Baschkirien zurück nach Orenburg chauffieren. Knapp 300 Kilometer Taxifahrt sind so zusammengekommen, als wir spät abends erschöpft, aber glücklich unser Hotel erreichen.
Bereits am nächsten Morgen holt uns ein anderer Fahrer vom Hotel ab, ein Inspektor des Orenburger Naturreservats. Unser Ziel ist die Steppe zwei Fahrtstunden südöstlich der Stadt. Das 16.500 Hektar große Areal steht unter strengem Schutz, Besucher dürfen es nur mit Passierschein und in Begleitung von Rangern betreten. Die gesamte Ural-Reise hatte ich streng genommen rund um diesen Ausflug geplant.
Ich hatte nach langem Mailwechsel zwei geführte Exkursionen vereinbart – als erster Besucher aus Deutschland überhaupt. Das menschenleere Territorium diente lange Jahre der russischen Luftwaffe als Übungsplatz für Bombenabwürfe. 2015 startete hier dann ein Programm zur Auswilderung der seltenen Przewalski-Pferde.
Die galten seit Ende der 1960er Jahre in freier Wildbahn als ausgestorben. In mehreren Ländern laufen inzwischen Projekte, sie wieder in ihrer natürlichen Umgebung anzusiedeln, unter anderem in der Mongolei, in China, Kasachstan und im Sperrgebiet um das Atomkraftwerk Tschernobyl. Im Orenburger Steppenreservat lebt eine Gruppe weitgehend frei, zwei weitere gewöhnen sich in riesigen Gehegen an die neue Umgebung.
Diese Tiere sind geradezu zutraulich. Wildpferdeexpertin Tatjana Leonidowna ruft mit einem Eimer Hafer in der Hand: "Kommt her, meine Lieblinge!" - Und tatsächlich trotten die stolzen Wildpferde in unsere Richtung. Später unternehmen wir im Lada-Geländewagen eine mehrstündige Fahrt durch das Reservat. Ziel der Tour sind die "Räuberberge" (Banditskije Gory), in denen Wegelagerer einst den Karawanen auflauerten, die Waren über die legendäre Seidenstraße nach Russland brachten.
Begleitet werden wir von einem Ranger, der nach Bränden Ausschau hält, und der Pferdespezialistin, die unglaublich viel Wissenswertes über diese vermeintlich karge Gegend, ihre Tiere und Pflanzen erzählen kann. Wir sehen Steppenadler, Murmeltiere und Unmengen von Versteinerungen, denn in der Vorzeit war dieser Ort der Boden eines großen Meeres. Eines der Murmeltiere, "der Paläontologe", stößt beim Bau seiner unterirdischen Gänge im Kalkboden regelmäßig auf besonders schöne Fossilien und schiebt sie dann vor seinen Höhleneingang. Eine kuriose Sammlung häuft sich dort bereits an.
Sogar über Nacht dürfen wir im Reservat bleiben. Wir können uns für kleines Geld am Rangerposten einen Bauwagen mit „Sommerdusche“ mieten. Abends erklingt überall um uns herum ein Gesang wie der einer Nachtigall. Es sind jedoch keine Vögel, sondern Pfeifhasen, die uns noch bis lange nach Sonnenuntergang staunen lassen. Vermutlich haben wir noch nie im Leben eine Nacht an einem ungewöhnlicheren Ort verbracht.
Am folgenden Morgen werden wir wieder abgeholt, und nach einem letzten Tag in Orenburg beginnt der lange Rückweg: 24,5 Stunden Zugfahrt nach Moskau liegen vor uns. Zunächst führt die Bahnstrecke wieder durch eine hügelige Steppenlandschaft. Östlich von Samara stoßen wir wieder auf die Hauptstrecke von Moskau nach Tscheljabinsk, die wir von der Hinfahrt kennen.
Den einstündigen Zwischenstopp in Samara nutzen wir, um uns in einem der unzähligen Bahnhofskioske mit extrem leckeren Pralinen der örtlichen Süßwarenfabrik einzudecken. Nicht alles, was als Mitbringsel für Deutschland gedacht war, überlebt die Fahrt: Suchtgefahr! Es folgt eine letzte Übernachtung in der Nähe der Hauptstadt und die Rückreise nach Deutschland, teils im Flieger über Berlin, teils komplett mit der Eisenbahn. (kp)
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Sonja (Freitag, 23 September 2022 17:24)
Ein schöner Artikel, aber eine Sache verstehe ich nicht. Was hat es mit den "singenden Kaninchen" auf sich?
Karsten (Sonntag, 30 Oktober 2022 17:56)
Hallo Sonja, die Pfeifhasen der russischen und kasachischen Steppe (Ochotona pusilla) werden auf Russisch umgangssprachlich auch "Singende Hasen" genannt.