"Wie weit Herodot auch gereist sein mag, nach Samoskworetschje kam er nie."
Alexander Ostrowski (1823-1886), russischer Dramatiker
Fast noch in Sichtweite der Moskauer Kremltürme beginnt am südlichen Ufer des Moskwa-Flusses eine andere Welt. In dem Stadtteil Samoskworetschje ist noch viel vom alten, vorrevolutionären Moskau zu spüren: Mit vielen ruhigen Gassen, Zwiebelturm-Kirchlein, Stadtvillen. Auf einigen Hauptstraßen rumpelt die Straßenbahn entlang, aber insgesamt herrscht hier deutlich weniger Trubel als im eigentlichen Stadtzentrum. Wer an der Zwölf-Millionen-Metropole, ihren Menschen- und Verkehrsmassen verzweifelt, kann hierher kommen und die russische Hauptstadt von ihrer liebenswürdigsten Seite kennenlernen. Auch die langgezogene Insel mitten im Moskwa-Fluss auf der Höhe des Kremls gehört zu dem Viertel mit dem für Westler schwer aussprechbaren Namen.
Samoskworetschje ist eines der ältesten Moskauer Stadtviertel und war schon im 14. Jahrhundert von Handwerkern besiedelt worden. Später siedelten sich in der Gegend auch zunehmend Kaufleute an. Daneben bildeten einige Straßen und Gassen das Moskauer Tataren-Viertel.
In den 1970-er Jahren wäre es um das liebenswerte Quartier fast geschehen gewesen: Die kommunistische Führung plante den kompletten Abriss der historischen Bebauung. Stattdessen sollten hier Plattenbau-Hochhäuser entstehen. Nach Protesten namhafter Vertreter der Nomenklatura nahm die Parteiführung aber wieder Abstand von den Plänen, so dass Besuchern bis heute nur verhältnismäßig wenige architektonische Scheußlichkeiten ins Auge fallen.
Von den Moskauer "Pflicht-Sehenswürdigkeiten" befindet sich die Tretjakow-Galerie in dem Viertel - die neben dem Russischen Museum in St. Petersburg weltweit bedeutendste Sammlung russischer Kunst. Ansonsten lohnt es sich vor allem, einfach durch das Viertel zu bummeln und sich überraschen zu lassen.
Wer nicht lange über eine Route durch das Viertel nachgrübeln möchte, kann aber auch unserem Rundgang folgen: Die Strecke führt auf rund 5 Kilometern Länge einmal von Süden nach Norden durch Samoskworetschje - vorbei an einigen der interessantesten Orte.
Als Beginn bietet sich die Metro-Station "Pawelezkaja" direkt am breiten, ohrenbetäubend lauten Gartenring an (am besten den Ausgang der Ringlinie nehmen, dann kann man nichts falsch machen). Gleich am Metro-Ausgang biegen wir in die Nowokusnezkaja-Straße ein und folgen den Straßenbahnschienen. Einst lebten hier die Moskauer Waffenschmiede. Bereits nach wenigen Metern steht auf der linken Straßenseite eine hübsche russische Altbläubigen-Kirche. Viele historische Gebäude säumen die beiden Straßenseiten. Einer der besonders schön verzierten Altbauten beherbergt heute eine Staatsanwaltschaft. Und sogar einige Holzhäuser haben bis ins 21. Jahrhundert überlebt.
Hinter dem Denkmal für den tatarischen Nationaldichter Gabdullah Tukai führt ein Durchgang unter einem der wenigen Hochhäuser nach rechts in das historische Tatarenviertel. Hier befindet sich unter anderem noch eine kleine Moschee aus dem 19. Jahrhundert. Wir folgen der Bolschaja Tatarskaja Uliza eine Weile und biegen dann nach links, wo die wunderschön restaurierten Türme der Kliment-Kirche in den Himmel ragen. Auf dem Weg dorthin bietet sich in einer Baulücke ein kleiner Park mit Schaukeln für ein Päuschen an.
Noch vor der Metro-Station "Tretjakowskaja" biegen wir erneut nach rechts ab auf die Uliza Pjatnizkaja - die quirligste Straße des Viertels mit vielen Cafés und Restaurants. Auf
der rechten Seite hinter dem runden tempelartigen Eingang zur Metro-Station "Nowokusnezkaja" lohnt ein Blick auf das eindrucksvolle einstige Funkhaus von
"Radio Moskau", von wo früher Sendungen in über 60 Sprachen den Menschen in aller Welt vom Triumph des Kommunismus berichteten. Die Pjatnizkaja-Straße selbst hat sich in
den vergangenen Jahren zu einer echten Flaniermeile entwickelt, seit die ujrsprünglich extrem engen Bürgersteige verbreitert wurden.
An dem Glockenturm auf der linken Seite biegen wir in die kleine, von orthodoxen Kirchen gesäumte Tschernigowski-Gasse und an deren Ende gleich wieder nach links und dann -
vorbei am imposanten Stadtpalast, der heute die "Stiftung für Slawische Literatur" beherbergt, nach rechts. Als Orientierungspunkt für den weiteren Spaziergang dienen die goldenen Kuppeln
der Auferstehungskirche, auf dem Weg zu ihr überqueren wir die recht stark befahrene Bolschaja-Ordynka-Straße. Von der Kirche aus führt ein kleiner Schlenker zur
Tretjakow-Galerie, die mittlerweile auch in einer Fußgängerzone liegt. Das Museum lohnt auf jeden Fall einen Besuch, aber man sollte sich an dem Tag besser nichts anderes mehr
vornehmen.
Von der Tretjakow-Galerie aus ist es nicht mehr weit bis zur Uferstraße des Moskauer Wasserumleitungskanals, der eine langgezogene künstliche Insel in der Moskwa bildet. Direkt am Ufer steht die imposante EU-Vertretung. Über eine Fußgängerbrücke mit unzähligen "Liebesschlössern" gelangen wir auf den Sumpfplatz (Bolotnaja Ploshshad), der in den vergangenen Jahren gelegentlich als Schauplatz von Anti-Regierungs-Demonstrationen auch im deutschen Fernsehen zu sehen war. Das gleich sichtbare große Denkmal stellt den Maler Ilja Repin dar. Die etwas abseits gelegene Skulpturengruppe "Kinder sind die Opfer der Sünden der Erwachsenen" von Michail Schemjakin kann man am östlichen Ende des Parks bestaunen. Ein Schlenker lohnt sich - kaum irgendwo auf der Welt steht so absurde Kunst im öffentlichen Raum herum. Die vorgeschlagene Route führt allerdings zurück ans gegenüberliegende Ende des Parks. Der Blick fällt dabei auf ein großes graues Wohnhaus jenseits einer vielbefahrenen Schnellstraße. In diesem "Haus an der Uferstraße" lebte in der Stalin-Zeit ein guter Teil der sowjetischen Staatselite. Viele Bewohner überlebten allerdings die Jahre des "Großen Terrors" nicht. Die Brücke, die hier über die Moskwa führt, bietet einen der besten Kreml-Aussichtspunkte überhaupt. Am nördlichen Moskwa-Ufer angekommen könnt ihr eure Tour an der Metrostation "Alexandergarten" beenden oder weiter Richtung Roter Platz, zur Twerskaja Straße oder auch zur Christerlöser-Kathedrale bummeln.