Das wilde Moskau ist bekanntlich kein Ort für einen Erholungsurlaub. Wer längere Zeit in der Zwölf-Millionen-Stadt verbringt, verspürt früher oder später die wachsende Sehnsucht nach etwas Beschaulichem, Kleinem, Ruhigem. Dann ist es Zeit für eine Tour ins Umland. Anbei eine Zusammenstellung interessanter Ausflugsziele und Sehenswürdigkeiten, die fast alle problemlos innerhalb eines Tages auch ohne eigenes Auto erreichbar sind:
Rund 70 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt liegt das festungsartige Dreifaltigkeitskloster von Sergijew Possad aus dem 14. Jahrhundert. Die Anlage, gegründet vom heiligen Sergius Radonesch, ist eines der wichtigsten Zentren der russisch-orthodoxen Kirche und zählt zu den insgesamt fünf Klöstern in Russland und der Ukraine, die den Ehrentitel "Lawra" tragen. An der Ausmalung der zentralen Dreifaltigkeitskirche wirkte Anfang des 15. Jahrhunderts der berühmteste russische Ikonenmaler Andrej Rubljow mit. Seit Anfang des 19. Jahrhundert befindet sich auf dem Gelände auch die Moskauer Geistliche Akademie, eine der wichtigsten theologischen Hochschulen Russlands. Die Moskauer Zaren des späten Mittelalters kamen oft nach Sergijew Possad, um für den Sieg in anstehenden Schlachten zu beten. Heute ist der Ort, den viele im Westen noch unter seinem Sowjetnamen Sagorsk kennen, das Ziel der Wahl für die meisten, die lediglich Zeit für einen einzigen Ausflug ins Moskauer Umland haben. Die Unesco hat das Dreifaltigkeitskloster 1993 als eines der ersten russischen Baudenkmäler in ihre Welterbeliste aufgenommen.
Anfahrt zum Kloster: Vorortzüge vom Jaroslawler Bahnhof verkehren regelmäßig. Vom Bahnhof ist es noch ein kleiner Fußmarsch. Unterwegs gibt es einen hübschen Panorama-Punkt für Fotografen.
Twer, Hauptstadt des gleichnamigen Verwaltungsgebiets, ist mit über 400.000 Einwohnern die erste Großstadt entlang der Wolga. Hier, am Oberlauf, fehlt dem längsten Fluss Europas aber noch die grandiose Breite, die er stromabwärts erreicht. Im späten Mittelalter war Twer unter den rivalisierenden russischen Fürstentümer eine Weile ebenbürtiger Rivale Moskaus. Noch heute handelt es sich um die größte Stadt zwischen den beiden Metropolen Moskau und St. Petersburg. Nach einem Großbrand war die Stadt Mitte des 18. Jahrhunderts von den damals führenden Architekten des Zarenreichs wiederaufgebaut worden. Im Zentrum sind viele klassizistische Bauten aus dem 18. und 19. Jahrhundert erhalten. Lieblingstreffpunkt der Einwohner ist die hübsche Uferpromenade, die sich an der Wolga entlangzieht. Die Partnerstadt von Osnabrück lohnt auf jeden Fall einen Tagesausflug oder einen Zwischenstopp auf der Fahrt von Moskau nach Sankt Petersburg.
Anfahrt nach Twer: Vom Leningrader Bahnhof in Moskau verkehren täglich etliche Vorortzüge, darunter auch eine Reihe der neuen, modernen Regional-Expresse vom Typ "Lastotschka" ("Schwalbe"), letztere benötigen etwa zwei Stunden für die rund 160 Kilometer. Auch viele Nachtzüge und die russischen "Sapsan"-Hochgeschwindigkeitszüge stoppen in Twer.
Die eher unaufregende Kreisstadt Klin mit ihren 80.000 Einwohnern auf halber Strecke zwischen Moskau und Twer gelegen, hat vor allem ein touristisches Pfund, mit dem sie wuchern kann: Inmitten eines parkartigen Grundstücks am Rand des Stadtzentrums steht das Landhaus, in dem der Komponist Pjotr Tschaikowski 1892 und 1893 die letzten beiden Jahre seines Lebens verbrachte. Während dieser entstanden in dem Haus 18 Klavierwerke und seine letzte Sinfonie Nr. 6 "Pathétique" in h-Moll. Unmittelbar nach Tschaikowskis Tod im Alter von nur 53 Jahren wurde der Ort nahezu im Originalzustand belassen und zu einem Museum (Webseite nur Russisch). Zu sehen sind unter anderem Tschaikowskis Flügel, sein Schreibtisch und sein Schlafzimmer. Während des Zweiten Weltkriegs, als Klin kurzzeitig von den Deutschen besetzt war, nutzte die Wehrmacht das Haus als Motorradgarage. Die Einrichtung war jedoch rechtzeitig ausgelagert worden. In dem Museums-Zentrum finden in den Sommermonaten auch klassische Konzerte statt.
Anfahrt nach Klin: Vorortzüge und Regionalexpresse mit Ziel Klin, Twer oder Konakowo starten den ganzen Tag über vom Leningrader Bahnhof. Vom Bahnhof Klin geht es mit den Stadtbussen 18, 30, 37 oder 40 zum Tschaikowski-Museum. Dessen Öffnungszeiten sind täglich außer mittwochs und donnerstags von 10 bis 18 Uhr.
Im Süden des Moskauer Verwaltungsgebiets liegt am Nordufer des Wolga-Nebenflusses Oka rund zwölf Kilometer östlich der Kreisstadt Serpuchow ein knapp 5.000 Hektar kleines Naturreservat. Die Wälder der Oka-Terrassen haben als einziges Naturschutzgebiet im Moskauer Umland den höchsten Schutzstatus ("Sapowednik"). Hier leben Hirsche, Wildscheine und eine beachtliche Biber-Population. Überregional berühmt ist das Naturreservat (Webseite Russisch/Englisch) allerdings als Zentrum des russischen Wisent-Aufzuchtprogramms. Die Einrichtung besteht seit 1948, inzwischen wurden über 300 der urigen Wildrinder von der Oka in verschiedenen Regionen Russlands, der Ukraine sowie in Weißrussland und Litauen ausgewildert. Neben dem Wisent-Zentrum können ein Naturmuseum und im Sommer ein Baumwipfel-Pfad besichtigt werden.
Anfahrt zum Naturreservat: Vom Kursker Bahnhof aus verkehren regelmäßig Vorortzüge bis ins rund zwei Stunden entfernte Serpuchow. Vom dortigen Bahnhofsvorplatz gibt es täglich rund zehn Busse in das Dörfchen Danki. Von der dortigen Haltestelle "Sapowednik" sind es noch etwa 200 Meter bis zum zentralen Gebäude der Reservats-Verwaltung, wo Besucher Passierscheine erhalten und Führungen buchen können.
Knapp 60 Kilometer westlich von Moskau liegt in der Stadt Istra ein weiterer faszinierender Kloster-Komplex, der mindestens so spektakulär und interessant ist wie der von Sergijew Possad, aber weit weniger ausländische Touristen anzieht. Das Männerkloster Neu-Jerusalem aus der Mitte des 17. Jahrhunderts war nicht weniger als der Versuch, die Heiligtümer Palästinas auf russischem Boden nachzubauen. Der damalige Patriarch Nikon ließ sich für seine Residenz die gesamte Landschaft in der Umgebung umgestalten, damit so etwas wie das Heilige Land in Miniatur entstand: Wälder wurden gerodet, der Zion-Berg, auf dem das Kloster entstehen sollte, wurde aufgeschüttet und der Istra-Fluss in Jordan umbenannt. Nach der Oktoberrevolution wurde das Kloster aufgelöst, im Zweiten Weltkrieg wurden die einmalige Auferstehungskirche von den Deutschen geplündert, ihr Glockenturm in die Luft gesprengt. Nach der Wende wurde das gesamte Areal mit viel Aufwand saniert. Seit 1994 leben auch wieder einige Mönche in Neu-Jerusalem.
Anfahrt nach Neu-Jerusalem: Mit den Vorortzügen vom Rigaer Bahnhof geht es zunächst bis zur Station Nowojerussalimskaja. Von dort aus ist es noch ein knapp zwei Kilometer weiter Fußmarsch bis zum Klostertor.
Mit über 60.000 Einwohnern ist Dmitrow im Norden des Moskauer Verwaltungsgebietes eine typische Provinzstadt, die aber genügend Attraktionen für einen Tagesausflug bietet. Sie ist nahezu ebenso alt wie Moskau, ihre Gründung im Jahr 1154 geht ebenfalls auf den Fürsten Juri Dolgoruki zurück. Im Stadtzentrum ist der von hohen Erdwällen geschützte Kreml mit der Mariä-Entschlafens-Kathedrale erhalten. Die Kirche wurde vermutlich im 16. Jahrhundert von einem italienischen Baumeister erbaut. Über das Stadtzentrum verteilt gibt es weitere sehenswerte Kirchen und Klöster. Die Landschaft rund um Dmitrow ist relativ hügelig, hier gibt es die höchsten Erhebungen im Moskauer Umland und südlich der Stadt sogar einige Pisten zum Abfahrts-Skilauf. Wer gewöhnlich in den Alpen unterwegs ist, mag die nicht besonders spannend finden. Für Anfänger skönnen die flachen Hänge dagegen praktisch sein.
Anfahrt nach Dmitrow: Von Moskau aus gelangt man mit dem Vorortzug vom Sawjolowo-Bahnhof nach Dmitrow. Da die Züge nicht so häufig verkehren wie zu anderen Ausflugszielen, bietet sich unter Umständen der Bus als Alternative an. Regelmäßige Verbindungen verkehren ab der Metro-Station "Altufjewskaja" ganz im Norden von Moskau.
Wer tatsächlich Land und Leute und die russische Mentalität verstehen will, sollte unbedingt versuchen, Moskauer Freunde oder Bekannte am Wochenende auf ihrer Datscha zu besuchen. Nahezu jeder Hauptstädter besitzt ein solches Wochenendhaus. Wer mit dem Zug, Bus oder Auto unterwegs ist, passiert die riesigen Datschen-Siedlungen, die um die Stadt herum entstanden sind und sich immer stärker in die Landschaft fressen. Die Staus an Freitag- und Sonntagabenden auf den großen Ausfallstraßen sind entsprechend unmenschlich. Und manche Moskauer sind 200 Kilometer unterwegs, um von der Stadtwohnung in ihr kleines Paradies auf dem Land zu gelangen. Dennoch würde kaum jemand auf dieses Refugium verzichten wollen. Der Garten wird für das eigene Seelenheil benötigt, das Gemüse von dort für die Wintervorräte. Russische Datschen haben nicht viel mit einer deutschen Schrebergarten-Laube gemeinsam, sie sind in der Regel wesentlich solider gebaut, so dass mehrere Leute problemlos dort übernachten können. Viele Moskauer verbringen mangels Geld für Auslandsreisen auch ihren Sommerurlaub auf der Datsche.