"Ich habe Astrachan gesehen: bedeckt von vielen hundert Segeln, mit dem Geruch von getrocknetem Hering und voller Staub wie die aus Lehm gebauten Städte Asiens."
Konstantin Paustowski, russischer Schriftsteller (1892-1968)
Wer wissen will, wie heiß es in Russland im Sommer werden kann, ist hier richtig: In der Provinzhauptstadt Astrachan, rund 1.400 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Moskau am Rand des faszinierenden Wolga-Deltas, zeigt das Thermometer im Juli und August regelmäßig über 40 Grad im Schatten. Kein Wunder, dass in der Umgebung Wassermelonen gut gedeihen, die dann jedes Jahr im Spätsommer in langen Lastwagen-Karawanen nach ganz Russland verkauft werden. Reich wurde die geschichtsträchtige Stadt durch die Störe und ihren Kaviar.
Als Handelsmetropole zwischen Europa, Orient und dem Fernen Osten zog sie Kaufleute aus aller Herren Länder an. Astrachan hat heute über 500.000 Einwohner und ist nicht nur als Endpunkt einer Wolga-Kreuzfahrt oder als Sprungbrett für Touren ins Delta von Interesse.
Die Stadt Astrachan entstand an ihrem heutigen Standort vermutlich im 13. Jahrhundert, als der Unterlauf der Wolga zum Reich der Goldenen Horde gehörte. Aus der vor-russischen Zeit gibt es keine erhaltenen Bauten mehr, nach der Eroberung der Stadt durch die Truppen Iwans des Schrecklichen im 16. Jahrhundert wurde Astrachan neu aufgebaut. Im heutigen Zentrum mit dem mächtigen Kreml sieht es ähnlich aus wie in anderen historischen Städten entlang der Wolga. Allerdings unterscheidet sich die Bevölkerung der Stadt schon deutlich von der anderer Provinzzentren stromaufwärts: Russen bilden nur etwas mehr als die Hälfte der Einwohner. Daneben fallen im Straßenbild viele Kasachen, Tataren und Kaukasier auf. In den einst tatarischen Vorstädten und auf den Lebensmittelmärkten wirkt Astrachan noch ein ganzes Stück exotischer. Ich selbst bin immer gerne in dieser Stadt und finde, zusammen mit der Umgebung ist die Region rund um das Wolgadelta eine der interessantesten Gegenden in Russland.
Die Stadt Astrachan zieht sich etliche Kilometer auf beiden Ufern der Wolga entlang. Das historisch interessante Zentrum mit dem Kreml liegt am linken Ufer auf einer Insel, die von Wolga, dem Flüsschen Kutum und dem "Kanal des 1. Mai" gebildet wird. Für einen Rundgang empfehlen wir folgende, zugegeben ambitionierte Route, die beispielsweise am Lenin-Platz beginnen und enden könnte, zum Kreml und anschließend durch einige historische Bereiche der Innenstadt führt. Nach einem Abstecher zu dem lizensierten Kaviar-Laden "Ikornaja Lawka" führt die Strecke an der langen Wolga-Ufer-Promenade entlang und macht noch einen Abstecher über den 1.-Mai-Kanal in die tatarische Vorstadt mit ihrer "Straße der Moscheen".
Der Bau des Astrachner Kremls begann Ende des 16. Jahrhunderts. Das Ensemble mit seinen weißen Steinmauern, Wehrtürmen und Kirchen ist heute ein Museum, der Eintritt auf das Gelände ist frei. Zentrales Bauwerk ist die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale mit ihren fünf Kuppeln von 1710 (Webseite, nur Russisch). Deren Glockenturm ist heute zugleich der einzige Zugang zum Kreml-Gelände. Peter der Große sprach nach einem Besuch in der Stadt davon, dies sei die schönste Kirche seines Zarenreichs. Rund 100 Jahre älter ist die vis-à-vis gelegene kleinere Dreifaltigkeitskirche.
Außerdem befinden sich im Kreml noch ehemalige Kasernen und Gebäude für die hier stationierten Offiziere. Auf dem gesamten Areal wurde in den vergangenen Jahren viel renoviert und gearbeitet, heute machen die historischen Mauern und Parkanlagen allesamt sehr gepflegten Eindruck,
Östlich des Kremls erstreckt sich das historische Zentrum von Astrachan - die einst ebenfalls von einer weißen Mauer geschützte "Weiße Stadt". Hier ist trotz einiger Bausünden der sowjetischen Stadtplaner viel vom historischen Stadtbild des 18. und 19. Jahrhunderts erhalten geblieben, unter anderem eine Reihe von Stadtpalästen - etwa die heutige Residenz des Gebietsgouverneurs und die einstigen Kaufmanns-Kontore indischer und persischer Händler. Die Sowjetskaja Uliza ist abschnittsweise zur Fußgängerzone erklärt worden, hier sind viele Cafés und Läden zu finden. Einige Bauten, etwa die wissenschaftliche Bibliothek der Stadt, erinnern bereits an die Architektur Mittelasiens. In einer Gasse an der nördlichen Spitze der Altstadt gibt es mit dem Delikatessen-Laden "Ikornaja Lawka" ("Икорная Лавка") eine der wenigen Adressen in der Stadt, in der es geräucherten Stör und Kaviar aus garantiert legaler Zucht zu kaufen gibt.
An exponierter Stelle, der Einmündung des Kutum-Flusses in die Wolga mündet, steht - einem kleinen Schlösschen gleich - das markante Astrachaner Standesamt. Von hier aus führt eine kilometerlange Uferpromenade an der Wolga entlang bis zu den Anlegestellen der großen Flusskreuzfahrtschiffe. Entlang des Wegs gibt es eine Reihe von Eiscafés und Kiosken, viele neu installierte Denkmäler, aber bei unserem letzten Besuch wirkte das Wolga-Ufer trotzdem ein wenig menschenleer. Bemerkenswert sind mehrere auf Pontons schwimmende hölzerne Anlegestellen. Der Uferweg zieht sich südlich bis hinter das riesige Hotel "Azimut", das unter dem Namen "Lotos" einst die einzige Adresse der Stadt war, wo Ausländer unterkommen konnten. Dort entstanden anstelle eines Viertels voller heruntergekommener Holzbaracken in den vergangenen Jahren etliche noble Wohntürme für die neue reiche Oberschicht.
Südlich des 1.-Mai-Kanals beginnt das Tataren-Viertel von Astrachan, das auf den ersten Blick einen etwas verwahrlosten Eindruck macht. In vielen der Straßen stehen noch einfache Holzhäuser aus der Vorkriegszeit. Bemerkenswert ist die Uliza Kosmodemjanskoi, die in Reiseführern auch als "Straße der Moscheen" bezeichnet wird. Hier befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft drei islamische Gotteshäuser: Die Rote Moschee, die Schwarze Moschee und die Weiße Moschee mit hoch aufragenden Minaretten. Die älteste der drei, ist die Weiße (Ak-Metschet/ Ак-Мечеть), die ein tatarischer Kaufmann 1810 im klassizistischen Stil erbauen ließ. Auf der südlichen Seite des Kanals befanden sich einst auch die Viertel der Armenier und der Deutschen. Die einstige lutherische Kirche von Astrachan wurde von den Sowjets zu einem Wohnhaus umgewandelt und ist nicht mehr als Sakralbau erkennbar. Pfarrhaus und Sonntagsschule blieben erhalten.
In der Umgebung von Astrachan gibt es viele interessante Ziele für Reisende. Die größte Attraktion ist das weit verzweigte Wolgadelta, das an vielen Stellen einem Naturparadies gleicht - vor allem im Spätsommer während der Blüte der Lotosfelder. Interessante Orte im Delta sind auf eigene Faust kaum zu erreichen - und ohne Boot schon gar nicht. Allerdings bieten die Hotels in Astrachan und Reisebüros Ausflüge für Gruppen und individuelle Gäste an.
Besuche im Astrachan-Naturreservat mit seinen Pelikanen, Seeadlern, Schwänen und Kormoranen sind komplizierter zu organisieren, denn Besucher benötigen außer einer Erlaubnis der Naturschützer auch eine Genehmigung des FSB: Viele der streng geschützten Delta-Abschnitte liegen in einer Grenzzone (ebenso wie die unmittelbare Küste am Kaspischen Meer). Wer Zeit und Nerven für die Vorbereitung nicht scheut, wird aber mit unvergesslichen Eindrücken reich belohnt. Nicht zu empfehlen sind Aufenthalte im Delta im späten Frühjahr (Ende Mai - Juni) wegen der dann nur schwer erträglichen Massen an Kriebelmücken (auf Russisch moschká genannt).
Nicht nur das Delta, sondern auch die Halbwüsten rings um Astrachan lohnen einen näheren Blick. So können Reisende in Sarai Batu in die Geschichte der Goldenen Horde eintauchen. Westlich von Astrachan liegen viele pittoreske Salzseen und große Sanddünen.
Astrachan ist mit allen Verkehrsmitteln zu erreichen. Nahe der Stadt liegt der Flughafen Narimanowo, der mit Moskau, St. Petersburg, Baku und einigen anderen Städten verbunden ist. Eine Bahnfahrt im bequemen Schlafwagenzug von Moskau nach Astrachan über Saratow dauert etwas mehr als 24 Stunden. Die Strecke führt teilweise durch den äußersten westlichen Zipfel von Kasachstan, es finden aber keine Pass- oder Zollkontrollen statt. Weitere Zugverbindungen gibt es mit Wolgograd, Machatschkala sowie alle zwei Tage mit Atyrau in Kasachstan. Zwischen Astrachan und Elista existiert keine Bahnlinie, vom Busbahnhof der Stadt verkehren aber mehrere Minibusse am Tag. Die Fahrt durch die menschleere Steppen- und Halbwüstenlandschaft dauert rund sechs Stunden. Schließlich können Reisende auch mit einem Flusskreuzfahrtschiff nach Astrachan gelangen. Der Linienverkehr auf der Wolga mit weiter entfernten Städten stromaufwärts wurde aber schon vor Jahren eingestellt.
Aus eigener Erfahrung empfehlen wir gerne das kleine, familiär geführte Hotel "Astra Inn"
weiter. Die Lage der Unterkunft im Zentrum an der Uferstraße des 1.-Mai-Kanals ist optimal, bis auf den Bahnhof sind eigentlich alle Orte von Interesse fußläufig erreichbar. Die Zimmer sind
geräumig, gut ausgestattet, und die Mitarbeiter extrem nett.
Seit unserem letzten Besuch in der Stadt haben die Preise (womöglich wechselkursbedingt) etwas angezogen. Ein Doppelzimmer mit Frühstück kostet jetzt rund 40 Euro.