Die Reisehinweise des Auswärtigen Amtes - Fake News aus Berlin?

Anfang März 2024 hat das Auswärtige Amt in Berlin seine "Reise- und Sicherheitshinweise für Russland" nochmals verschärft. Wegen der angeblichen Gefahr "willkürlicher Festnahmen" wird von Reisen in das größte Land der Welt nicht mehr nur abgeraten, sondern "dringend abgeraten". Zahlreiche Medien griffen das Thema auf, und innerhalb von wenigen Stunden nach meiner Rückkehr von einer Reise zu Familie und Freunden ins winterliche Russland meldeten sich etliche deutsche Bekannte, ehrlich erleichtert, dass ich in Moskau nicht in Geiselhaft genommen wurde. Die "Sicherheitshinweise" aus Berlin verunsichern momentan viele - dabei sind sie voller Fehler und folgen in manchen Punkten eher ideologischem Schubladendenken als den Fakten.

 

Bereits seit der russischen Invasion in die Ukraine 2022 hatte das Auswärtige Amt alle Deutschen aufgefordert, Reisen nach Russland zu überdenken. "Wenn Sie sich derzeit in der Russischen Föderation aufhalten, prüfen Sie, ob Ihre Anwesenheit zwingend erforderlich ist. Falls nicht, erwägen Sie eine Ausreise", heißt es dort seither unverändert, ohne dies näher zu begründen. Belege dafür, dass Deutsche vermehrt Opfer  "willkürlicher" Verhaftungen wurden, bleibt man in Berlin schuldig. Auf eine Anfrage des BSW-Politikers Andrej Hunko teilte die Bundesregierung Ende Februar zwar mit, knapp 30 deutsche Staatsbürger seien gegenwärtig in Russland in Haft, die Hälfte davon seien Doppelstaatler. Zu den Gründen gibt es allerdings bislang keine Detailinformationen.

Unbestritten riskieren Menschen, die sich in Russland zum Thema Ukraine-Krieg offen regierungskritisch äußern, erhebliche, durch nichts zu rechtfertigendende Repressalien. Auch Deutsche, die sich an nicht genehmigten Kundgebungen beteiligen (Kundgebungen gegen den Krieg wurden seit 2022 grundsätzlich nie genehmigt) wären davon prinzipiell betroffen, obwohl bislang keine derartigen Fälle öffentlich wurden. Durch alle Medien hingegen ging der Fall eines Deutschen, der auf dem St. Petersburger Flughafen mit sechs THC-Gummibärchen im Gepäck verhaftet wurde (Bericht z.B. bei der Berliner Zeitung). Ihm droht eine mehrjährige Haftstrafe.

Nach deutschen Maßstäben mag dies gerade vor dem Hintergrund der von der Berliner Ampel-Regierung vorangetriebenen Cannabis-Legalisierung völlig überzogen sein. Doch nicht nur Russland verfolgt seit Jahrzehnten eine äußerst restriktive Drogenpolitik, was Konsumenten illegaler Substanzen vor dem Kofferpacken wirklich zur Kenntnis nehmen sollten - so wie sie es auch vor Reisen in andere Weltgegenden besser tun (etwa in die Staaten Südost-Asiens, für die das Auswärtige Amt keineswegs von Reisen "dringend" abrät). 

 

 

Ein Zerrbild des Kaukasus

Der für die Beinahe-Reisewarnung entscheidende Abschnitt zu den "willkürlichen Festnahmen" ist jedoch längst nicht der einzige fragwürdige Passus in den "Informationen" des Auswärtigen Amtes. Völlig aus der Zeit gefallen wirken die Beschreibungen zur Lage im Nordkaukasus: "Es besteht bei Reisen in den Föderalbezirk Nordkaukasus eine erhöhte Sicherheitsgefährdung durch mögliche Anschläge mit terroristischem Hintergrund, bewaffnete Auseinandersetzungen und Entführungen, v. a. in Inguschetien, Tschetschenien und Dagestan."  Das Auswärtige Amt beschreibt in etwa die Wirklichkeit von vor über 20 Jahren und hatte möglicherweise keine Gelegenheit, sich seither näher mit der Region zu befassen. Während und kurz nach den Tschetschenien-Kriegen war es tatsächlich richtig, um die Region einen weiten Bogen zu machen. Inzwischen gibt es in Tschetschenien vermutlich deutlich weniger Terroranschläge als in Frankreich oder Deutschland, Entführungen von Ausländern sind im russischen Kaukasus seit vielen Jahren nicht mehr vorgekommen. Dagestan entwickelt sich derweil aktuell zu einem der angesagtesten Ferienparadiese für russische Urlauber (zurecht, wie wir 2019 noch selbst erleben durften). 

Dann stehen in den Reisehinweisen teilweise seit Jahren Dinge, die einfach nur falsch sind. Glaubt man dem Auswärtigen Amt, dann gilt etwa für Russland: "Die Einreise auf dem Landweg ist aktuell nur in besonderen Fällen möglich." Das war die Regelung während der Pandemie, aber die ist lange beendet. Auch kann man im März 2024 weiter im Text einen Abschnitt lesen, in dem Reisende mit merkwürdigen Ratschlägen über die Registrierung von Ausländern konfrontiert werden. "Melden Sie sich im Fall einer mehrtägigen Reise bzw. einem Ausflug vom eigentlich geplanten und auch im Visum genannten Aufenthaltsort bei den Migrationsbehörden ab", mahnt das deutsche Außenministerium. Dass in russischen Visa, erst recht in den neuen E-Visa, seit etlichen Jahren keine Reiseroute mehr vermerkt ist (dies war zu Zeiten der Sowjetunion üblich), scheint Deutschlands Diplomaten ebenfalls entgangen zu sein.
 

Wer in den aktuellen, tatsächlich nicht einfachen Zeiten eine Reise über den neuen Eisernen Vorhang hinweg plant, muss zur Kenntnis nehmen: Zur Information taugen die Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes leider nur noch bedingt. Und wer einen guten Grund hat, Russland zu besuchen, sollte dies tun, egal ob man in Berlin aus politischen Gründen und zur Verfestigung des Freund-Feind-Denkens davon abrät oder dringend abrät. Die wenigen westliche Besucher, die sich aktuell in das Land trauen, müssen keine Schikanen befürchten, die vergleichbar mit denen wären, die Russen in der EU drohen (wie etwa der Beschlagnahmung privater russischer Pkw durch den deutschen Zoll). Es gibt ebenfalls in aller Regel keine Anfeindungen durch die Bevölkerung. Im Gegenteil ist man überwiegend aufrichtig froh, dass überhaupt noch jemand vorbeikommt. Dass dies auch für Besuche von Spitzenbeamten des Auswärtigen Amtes gilt, darf allerdings bezweifelt werden.

 

kp, aufgeschrieben am 11.3.2024

 

 

Alle Zitate aus den Reisehinweisen des Auswärtigen Amtes übernommen aus der am 11. März 2024 einsehbaren Textversion


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