Wer von Moskau nach Südrussland mit der Eisenbahn unterwegs ist, bleibt künftig während der ganzen Fahrt auf russischem Territorium. Bislang passierten alle Züge auf einem kurzen Abschnitt der wichtigen Nord-Süd-Trasse den östlichsten Zipfel der Ost-Ukraine. Die staatliche Bahngesellschaft RZD hat nun offiziell den Personenverkehr auf einer 137 Kilometer langen Neubaustrecke zwischen den Ortschaften Schurawka und Millerowo aufgenommen. Vor zwei Monaten waren bereits die Güterzüge auf die eilig fertig gebaute Strecke verlegt worden. Jetzt folgt schrittweise der Personenverkehr - zunächst ab 15. November alle Nachtzüge von Moskau oder Sankt Petersburg nach Rostow am Don, Sotschi und in die restliche Nordkaukasus-Region, die auf dem jetzt gemiedenen Abschnitt ohnehin keinen Zwischenstopp hatten.
Pläne für die neue Bahnstrecke existierten in Russland schon seit vielen Jahren. Wegen der völlig zerrütteten Beziehungen zwischen beiden Ländern nach dem Beginn der Ukraine-Krise 2014 wurde Bau massiv vorangetrieben.
Um schneller fertig zu werden, wurden auch Einheiten der Streitkräfte zu den Arbeiten hinzugezogen. Die russische Seite fürchtete damals, die Ukraine könnte den Verkehr auf der Strecke unterbrechen, die auf einem Abschnitt von etwa 20 Kilometern über ukrainisches Territorium oder direkt auf der Staatsgrenze verläuft. Tatsächlich lief der Transit aber stets reibungslos. Im Gegensatz zu anderen Teilen der ostukrainischen Region Lugansk fanden in der Nähe der Bahnstrecke auch zu keinem Zeitpunkt Kämpfe statt.
Die Kosten für die zweigleisige neue Strecke wurden zuletzt mit 56 Milliarden Rubel (nach derzeitigem Wechselkurs knapp 800 Millionen Euro) angegeben. Im kommenden Sommer sollen über die neue Trasse, die für eine Höchstgeschwindigkeit von 140 Stundenkilometer ausgelegt ist, täglich bis zu 190 Züge verkehren, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti (Russisch).
Streckenverlauf alt (rot) und neu (violett):
Wer nicht gerade mit einer Landkarte unterwegs war, ahnte in der Vergangenheit oft gar nicht, dass er sich gerade in der Ukraine aufhielt. Denn Grenzkontrollen in den Zügen auf dieser Strecke gab es noch nie. Nach der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 hatte die russische Eisenbahn die Verwaltung über den Streckenzipfel übernommen, der über keine Verbindung zum restlichen ukrainischen Bahnnetz verfügt und vermutlich schon nach dem nächsten Fahrplanwechsel in der Bedeutungslosigkeit versinken dürfte. Im einzigen ukrainischen Bahnhof Sorinowka/Soryniwka stoppten die Züge nicht.
Lediglich Mobiltelefone wählten sich oft zwischendurch in das ukrainische Funknetz ein - und sorgten bei so manchem Bahnpassagier anschließend für böse Überraschungen beim Blick auf die Telefonrechnung. (kp)