Auf diese Nachricht haben EU-Bürger, die früher häufig auf dem Landweg nach Russland reisten, vermutlich gewartet: Russische und weißrussische Regierung streben nun doch eine Art "Mini-Schengen-Zone" an und wollen die Visa des jeweils anderen Staates anerkennen. Alexander Surikow, russischer Botschafter in Minsk, kündigte in einem Fernsehinterview an, ein entsprechender Staatsvertrag werde bis Ende des Jahres unterschriftsreif sein. Die Grenze zwischen beiden Ländern, die seit Herbst 2016 von Ausländern aus Drittstaaten offiziell nicht mehr überquert werden darf, wäre dann wieder für alle passierbar.
Mehr noch: Künftig wäre nur noch ein Visum für Russland-Reisen auf dem kürzesten Landweg nötig - so, wie es bereits in den Jahren zwischen dem Zerfall der Sowjetunion und 2000 möglich war. Ein weißrussisches Visum werde dann automatisch in Russland anerkannt und umgekehrt, erklärte der Botschafter.
Wenige Tage vor dem Interview hatte bereits Russlands Außenminister Sergej Lawrow angekündigt, dass die beiden Nachbarstaaten gemeinsame Visabestimmungen und als Fernziel auch eine gemeinsame Einwanderungspolitik anstrebten. Davon sind die beiden Länder derzeit noch weit entfernt. Es gibt bislang auch unterschiedliche Listen von Staaten, für die jeweils die Visumpflicht gilt. So dürfen Georgier visafrei nach Weißrussland, aber nicht nach Russland. Umgekehrt hat Russland fast mit allen Staaten Lateinamerikas Abkommen über Visafreiheit abgeschlossen, Weißrussland aber nur mit einigen.
Die Probleme an der Grenze zwischen Weißrussland und Russland waren Ende 2016 zutage getreten, als die russischen Behörden sich ohne Vorwarnung plötzlich auf ein zuvor lange ignoriertes Gesetz beriefen, das die Ein- und Ausreise von Ausländern ins Land regelt. Dort ist festgeschrieben, dass der Grenzübertritt nur über einen offiziellen Übergang erfolgen darf. Eine solche Vorschrift ist zunächst einmal nicht weiter ungewöhnlich, doch zwischen Russland und Weißrussland gibt es gar keine Grenzübergänge - von einer Ausnahme am Dreiländereck mit der Ukraine abgesehen - denn die beiden Nachbarn bilden einen "Unionsstaat" und hatten bereits 1995 alle Kontrollen abgeschafft.
Nachdem der Paragraph über zwei Jahrzehnte lang keine Rolle spielte, bekamen Ausländer im Herbst 2016 plötzlich Ärger, wenn sie beispielsweise auf der Trasse von Moskau nach Minsk in eine Polizeikontrolle gerieten. Selbst mit gültigen Visa für beide Staaten kam es zu Zurückweisungen, vereinzelt wurden Bußgelder verhängt oder - schlimmer noch - Einreiseverbote angedroht.
Statt über die gut ausgebaute direkte Autobahn quälen sich seither ausländische Autofahrer mit Ziel Russland nun über lettische Landstraßen oder durch die Ukraine. Lediglich
Passagiere der internationalen Schlafwagenverbindungen von Berlin, Paris, oder Warschau nach Moskau werden bis heute nicht behelligt
- obwohl auch ihre Einreise eigentlich nicht rechtmäßig ist.
Anfang 2017 schien die Situation immer komplizierter zu werden und die beiden Teile des "Unionsstaates" steuerten auf eine offene Konfrontation in der Grenzfrage zu:
Weißrussland schaffte die Visapflicht für Kurzbesuche von Bürgern aus 80 Staaten ab. Russland erklärte wenig später einen Streifen im Westen der Verwaltungsgebiete Pskow, Smolensk und Brjansk offiziell zur
Grenzzone - mit einer Reihe von Einschränkungen für die Bewegungsfreiheit in den betroffenen Gegenden. Im Mai wurden zudem alle Flüge zwischen Russland und Weißrussland in die
internationalen Terminals der russischen Flughäfen verlegt, wo für Ausländer eine Passkontrolle stattfindet. Damit konnten Nicht-Russen und -Weißrussen zumindest wieder auf dem
Luftweg legal zwischen beiden Staaten reisen. (kp)